Bären und Touristen: Der Mensch muss nur wollen

Aus-nächster-Nähe

Wie tief das Bild vom Bären als gefährlichem Killer in einem verankert ist, merkte ich unterwegs in Alaska .. Die Silver Salmon Creek Lodge liegt südwestlich von Anchorage am Cook Inlet und ist vom Lake Clark National Park umgeben. Straßen hierher gibt es nicht, man fliegt von Homer oder Anchorage aus ein. Die Lodge feiert dieses Jahr ihr 30-jähriges Bestehen, und während dieser Zeit hat sich zwischen den Braunbären der Umgebung und der Lodge ein besonderes Verhältnis entwickelt: Die Bären haben gelernt, dass ihnen von den Gästen der Lodge keine Gefahr droht, die Gäste wiederum respektieren den von den Bären benötigten Freiraum und füttern sie auch nicht. Fazit: Die Gäste können sich frei im Lebensraum der Braunbären bewegen – in Begleitung von Guides und vorausgesetzt natürlich, sie respektieren ein paar Grundregeln.

Der Mann hinter dieser erfolgreichen Koexistenz von Bären und Touristen ist Lodgebesitzer David Coray. Dass er mir keine leeren Floskeln servierte, erwies sich bereits während des Interviews: Eine Bärin mit zwei Jungen passierte uns in zwei Meter Entfernung.  Video 3 hält die Begegnung fest. In Video 4 hört Ihr den Kommentar von David dazu. Sicherheitshalber habe ich David auch übersetzt. Kurz zusammengefasst: Ich säße hier wohl nicht, wenn diese Bärin nicht gelernt hätte, Menschen ganz einfach zu ignorieren.

Koexistenz auf der Basis gegenseitigen Respekts: Was David sagt, ist im übrigen die Quintessenz dessen, was heute als “commercial bearviewing” bezeichnet wird und dieser Tage an der Küste British Columbias und Alaskas als umweltschonende und zudem wirtschaftlich erfolgreiche Alternative zu den geplanten, umweltgefährdeten Pipelines propagiert wird. In einigen Regionen ist “commercial bearviewing” sogar die einzige Chance für vom Aussterben bedrohte Bärenpopulationen. Ich jedenfalls habe an diesem Tag am Silver Salmon Creek meine “Ur-Angst” vor Bären kuriert.

David Coray über das Verhältnis zu den Bären:

“Unser Verhältnis zu den Bären ist sehr interessant. Als wir hier herkamen, war der Nationalpark gerade erst gegründet worden (1980). Zu diesem Zeitpunkt kannten die Bären (dauerhafte) menschliche Anwesenheit nicht. Der Grund dafür lag in der feindlichen Haltung der Menschen. Die Alteingesessenen der Gegend fürchteten sich vor Bären. Viele Bären wurden deshalb geschossen und auf Abstand gehalten. In den letzten 20, 25 Jahren hat sich das aufgrund des gestiegenen Interesses am Ökotourismus und dem natürlichen Lebensraum der Bären geändert. Wir freuen uns, dazu einen Beitrag geleistet zu haben. Es brauchte vier oder fünf Generationen, bis die Bärenmütter und ihre Junge lernten, uns zu vertrauen und unsere Anwesenheit zu tolerieren. Sie lernten mit der Zeit, dass nichts Gutes, aber auch nichts Schlechtes passierte, wenn sie sich in unserer Nähe aufhielten. Auf diese Weise entwickelten sie mit der Zeit eine Art Toleranzschwelle, sodass wir nun Verhaltensweisen bei ihnen sehen, die sie sonst nur zeigen, wenn sie sich absolut sicher fühlen, wie Paarung, Stillen und die Suche nach Muscheln. Sie zeigen dieses Verhalten sogar in nächster Nähe zu uns, und wir bringen deshalb auch Fotografen und Bärenbeobachter hierher, sodass sie diese Nähe genießen und gute Bilder machen können. Dieses Gebiet hier gehört sicher zu den besten in Alaska für Bärenbeobachtung und ist eines der wenigen, wo man sich frei in natürlichem Bären-Habitat bewegen kann. Wir sind nicht auf Beobachtungsplattformen beschränkt, sondern könen uns frei im Lebensraum der Bären bewegen. Das funktioniert gut. Wir haben gelernt, dass man in der Tat mit Bären koexisteren kann. Wir haben entsprechende Studien aus den siebziger und achtziger Jahren gelesen und hier unsere eigene Version entwickelt. Wir versuchen, die Zahl unserer Besucher auf einem vernünftigen Level zu halten, sodass die Bären nicht unruhig und weggestoßen werden. Wir versuchen neutral zu bleiben und unternehmen nichts, dass sie anzieht oder sie von uns fernhält .. Diese Gegend ist mehr für Mütter und ihre Junge geeignet. Männliche Bären sehen wir nur während der Paarungszeit im Juni, aber sie halten sich fern von uns und verschwinden später wieder ..”

David Coray über Sicherheit:

“Sicherheitsmäßig sehen wir natürlich zu, dass die Rahmenbedingungen stimmen, wenn unsere Gäste draußen sind, um Bären zu sehen. Das ist insofern sehr wichtig, als die Leute ein gewisses Bild von Bären im Kopf haben, weil sie gehört haben, wie groß und grausam Alaskabären sind. Wann immer es einen Angriff von Bären in Alaska gibt, gelangt die Geschichte im Handumdrehen in die Nachrichten, was den Leuten das Gefühl gibt, dass Bärenangriffe in Alaska häufig sind. Das stimmt aber nicht. In den letzten 27 Jahren – seitdem wir hier sind – hat es keinen einigen Fall gegeben, wo ein Bär einen Menschen berührt hat und die Begegnung eine negative gewesen wäre. Hin und wieder beobachten wir Verhaltensweisen, die auf Stress verweisen, wie Gähnen, Geifern, Kiefernknacken oder Scheinangriffe, und wir erkennen, dass wir zu nahe sind und dem Bären nicht genug Raum geben. Legt der Bär solches Verhalten an den Tag, ziehen wir uns zurück. Unsere Guides führen natürlich Pfefferspray mit sich. Wir tragen keine Handfeuerwaffen.  Es sich gezeigt hat, dass Waffen keine effektive Abschreckung bewirken. Das Abfeuern einer Waffe in der Nähe eines Bären tut nicht viel, um das Verhalten eines Bären zu verändern. Wir benutzen Pfefferspray, und mir fällt kein Ereignis ein, wo wir es auch benutzen mussten. Damit sich unsere Gäste sicherer fühlen, gehen die Guides immer voran und passen auf, dass sich jeder bärengerecht verhält, sodass alle sicher sind.”

Close Encounter: Begegnung mit Bärin und Jungen am Ufer

 

David Coray kommentiert die soeben stattgefundene Begegnung mit der Bärenmutter und ihren Jungen:

“Was gerade eben vor eine Minute passiert ist, ist die klassische Situation, wo eine Gruppe von Leuten angelt und ihre Angelausrüstung auf einem Haufen liegt, und dann kommt ein Bär vorbei. Da war auch einer unserer Gäste, der gerade dabei war, seinen Fisch an Land zu ziehen, als sich ein Bär näherte, um den Fisch zu ergattern, was wir natürlich nicht zulassen konnten. Denn sonst assoziiert der Bär Nahrung mit Menschen. Er wird zum Ärgernis und wird immer wieder versuchen, Almosen zu ergattern.   Bären sind Opportunisten. Sie wollen nicht mehr Energie als nötig investieren, um zu ihrem Mittagsessen zu kommen. Wenn sie es von einem Angler kriegen können, umso besser.
Bei späteren Begegnungen werden sie deshalb immer näher kommen und immer aggressiver werden. Wir sehen deshalb zu, dass die Bären ihre Nahrung selbst erbeuten und keine Almosen von den Anglern bekommen. In diesem Fall war es nun so, dass der Bär vorbei kam und unsere Ausrüstung etwas verstreut herumlag. Wir mussten sie schnell auf einen Haufen packen, nur ein Mantel blieb etwas entfernt liegen. Und prompt interessierte sich der Bär für diesen Mantel, und ich musste mich dem Bären entgegenstellen, um sicherzustellen, dass er den Mantel nicht fortschleppte und in den Taschen eine Belohnung fand, wie Süßigkeiten oder so. Dies ist extrem wichtig: Beständig und immer und immer wieder dasselbe tun, damit die Bären sich an unser Verhalten gewöhnen. Sodass die Angler weiterhin angeln können und die Bären sich fernhalten, damit es nicht zu negativen Begegnungen kommt.”

Bärin beim Fischen:

 

Weitere Infos online unter:

Autor: Ole Helmhausen

Ole Helmhausen ist freiberuflicher Reisejournalist, Autor, Fotograf, Blogger und VJ und bereist seit 20 Jahren im Auftrag deutschsprachiger Zeitungen, Magazine und Verlage die USA und Kanada. Er lebt in Montréal (Kanada). Sie finden ihn auch auf: Facebook, Google+ und Twitter.

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