Acoma, New Mexico: Willkommen, Touristen! Wann geht Ihr wieder?

Seit tausend Jahren ist die Festung Acoma in der Hochwüste von New Mexico bewohnt. Die Hausherren, Pueblo-Indianer vom gleichnamigen Stamm, heißen Touristen willkommen – zu ihren Bedingungen. Was hin und wieder ganz schön frustrierend sein kann.

Acoma, New Mexico - (c) 2013 Ole Helmhausen - 3

Fred Stevens ist ein Lieber. Selbst Fragen wie “Sprechen die hier alle indianisch?” bringen ihn nicht aus der Fassung. Nur wenn sich während des  Rundgangs einer aus seiner Gruppe löst, um das merkwürdige In- und Übereinander dieser kastenartigen Behausungen näher zu beschnuppern, gerät er in´s Schwitzen. Sorgenfalten legen sich auf seine breite Stirn, und seine schwarzen Augen huschen unruhig hin und her und scannen die staubige Gasse nach Lebenszeichen. Hat jemand das gesehen? Wird es wieder eine Beschwerde geben? Die hier oben noch ausharren, ohne Elektrizität und fließend Wasser, sind stramme Traditionalisten, die Wert auf ihre Privatsphäre legen und nicht, und von Touristen schon gar nicht, gestört werden wollen. Und wenn der eigensinnige Tourist Freds  “Stay with me” nicht sogleich folgt, schiebt er sogleich ein flehendes “Pleeeaaaase” hinterher, das klingt, als gelte es sein Leben. 

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Natürlich bleibt solch verzeifelte Seelenpein nicht wirkungslos, und so stellt der neugierige Tourist seine eigenen Recherchen zurück, schließt folgsam zur Gruppe auf und folgt fortan den Anweisungen des einheimischen Führers, die da lauten: Immer in der Mitte der Gasse gehen! Keine Videos und Filme, nur Standfotos! Keine Fotos von Menschen! Nicht an Türen klopfen, nicht durch Fenster gucken! Nicht in der Kirche, nicht auf dem Friedhof fotografieren! Und schon gar nicht in die Kivas, die runden Zeremonialräume, hinabklettern. “Don´t even think about it”, nicht einmal im Traum dran denken soll man, und wenn man sich Fred so anschaut, wie er bei jeder Kiva, an der man vorkommt, nervös auf der Unterlippe herumkaut, bekommt man den Eindruck, dass er den Zweck der aus manchen der flachen Dächer ragenden Leitern am liebsten nie erklärt hätte.

Acoma, “der Ort, der schon immer da war”

Wenn man also nicht so darf, wie man will, warum ist man dann hier? Acoma sitzt auf einem Felsentisch hoch über dem Talboden, in der leeren, 2000 Meter hohen Hochwüste der Nordwestecke New Mexicos. Canyons und ausgetrocknete Flussbetten, geborstene Sandsteinwände, Geröllfelder, von Wind und Wetter skelettierte Felsentürme: Ein anziehend abstoßendes Land aus Stein ist dies, ein Paradies für Fotografen. Die zu den Pueblo-Indianern gehörenden Acoma, die sich selbst als “Haak´u” bezeichnen, nennen die festungsähnliche Siedlung auch “den Ort, der schon immer da war”, sie ist das spirituelle Zentrum ihrer jahrtausendealten Kultur. Ihre Vorfahren legten sie im 11. Jahrhundert an, um vor den Angriffen der Apachen und Navaho sicher zu sein. Heute gehört sie zusammen mit den Hopi-Festungen Oraibi und Walpi drüben in Arizona zu den ältesten, am längsten durchgehend bewohnten Orten Nordamerikas. Für die spanischen Konquistadoren waren die 120 Meter hohen Mesa-Wände Acomas indes kein Hindernis. 1598 eroberte ein Kontingent unter dem Befehl des grausamen Don Juna de Onate Acoma und tötete dabei rund 2000 Männer, Frauen und Kinder.

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Keine 500 Stammesangehörige überlebten den ungleichen, mit Musketen und Kanonen einerseits und Speeren und Keulen andererseits ausgefochtenen Kampf. 1641 errichteten die Spanier an der höchsten Stelle der Mesa die Kirche San Esteban del Rey. Die überlebenden Acomas  akzeptierten die Taufe, nahmen spanische Namen an und und lebten hernach, Ackerbau und etwas Viehzucht betreibend, fern der Zeitläufte. Spanien, Mexiko oder die USA, wer gerade das Sagen hatte, ging den in einer der isoliertesten und wirtschaftlich lange uninteressantesten Gegenden Nordamerikas lebenden Stamm nur wenig an. Dann  brach das 20. Jahrhundert über ihn herein, erst mit der unweit verlegten Route 66, dann mit Hollywood, das 1929 mit “Redskin” den ersten von vielen Western auf der Mesa drehte und 1941 mit “Sun Down” sogar einen Streifen, in dem die Mesa-Feste, die vom Talboden aus einem uneinnehmbaren, mit dem Sandstein verschmolzenen Adlerhorst gleicht, für eine Sarazenenfestung herhalten musste. Geld oder gar Arbeit und Bildung brachte weder das eine noch das andere. Die Uranminen der Umgebung, die nach dem Zweiten Weltkrieg viele Acomas von den Feldern in die Bergwerke gelockt hatten, waren Anfang der 1980er Jahre schon wieder erschöpft. Da betrug die Arbeitslosenquote im Reservat über 80 Prozent.

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Gerne Tourismus. Aber in Maßen

Marvis Aragon jr. rührt den Milchschaum seines Capuccinos unter und fischt mit dem Löffel nach Schokobröseln. Das Restaurant des Sky City Casino Hotel ist rappelvoll, gerade kämpft sich eine Busladung Ausflügler aus Albuquerque zum Buffet durch. Die Legalisierung des Glücksspiels Ende der achtziger Jahre erschloss vielen Stämmen der USA eine neue Einnahmequelle. Auch im Sky City Casino Hotel brummt das Geschäft. Aragon lächelt zufrieden und führt die mit traditionellen Motiven verzierte Tasse an die Lippen. Als CEO von Acoma Business Enterprises und Ex-Häuptling ist der in Anzug und Cowboystiefel gekleidete Acoma mit beiden Kulturen bestens vertraut – und kommt manchmal, sagt er, doch nicht aus dem Staunen darüber heraus, wie schnell alles am Ende gegangen ist. “Vor zwei Generationen haben wir erst Englisch gelernt, und in der Schule wurden wir bestraft, wenn wir Acoma sprachen.”  Heute zählt der Stamm rund 6000 Mitglieder. Gut die Hälfte lebt in der Acoma Indian Reservation, und ein paar Dutzend wohnen noch oben auf der Mesa im Zentrum des Reservats. 1996 sammelte der Stammesrat die wenigen modernen Unternehmen des Reservats unter dem Dach der Acoma Business Enterprises (ABE) und brachte damit ein Multi-Millionen-Dollar Unternehmen auf den Weg, das heute u.a.  in  Unterhaltungsindustrie und Tourismus mitmischt und 700 Acomas sowie Angehörigen benachbarter Stämme Arbeit gibt.

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Das 2001 eröffnete Sky City Casino Hotel, ein modernes Hotel mit Truckstop und Tankstelle an der I-40 zwischen Albuquerque und Gallup, ist gut belegt, und das 20 Autominuten südlich liegende Sky City Cultural Center zu Füßen der Mesa, ein modernes Infozentrum im Pueblostil, registriert jährlich 80 000 Besucher aus aller Welt. Dort wandern die Gäste durch ein ausgezeichnetes Museum und eine Fotogalerie, bevor sie in Gruppen auf die Mesa kutschiert werden. Vor zu vielen Touristen ist  Aragon nicht bange. Dass man, sagt er, zwar in zwei Kulturen, aber in einer Welt lebe, habe man schon erkannt, als man, und dabei lächelt er ironisch, die ersten Touristen aus Spanien bewirtet habe. Zugleich wisse man aber auch, dass die Integrität der alten Sprache und Kultur unbedingt geschützt werden müsse.”Diese Filmcrews und Touristen, die auf der Mesa in Wohn- und Schlafzimmer spähten, in Hauseingänge hineinfilmten und religiöse Zeremonien für Showdarbietungen hielten und fröhlich beklatschten … das alles können, wollen wir nicht mehr.”  Deshalb die  Kontrollen, die Regeln, die Vorschriften.

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“Haak´u”:  Nicht ohne (m-) einen Guide

Deshalb auch strenge, leicht neurotische Guides wie Fred. Der ist inzwischen, nach all´ den Ver- und Geboten zu Beginn, um bessere Stimmung bemüht und führt die Gruppe munter plaudernd durch das Gassengewirr. Zwischen den braungelben, ein- bis dreistöckigen Häusern verschwimmt das Bild der modernen USA bald zu einer undeutlichen Collage. Mainstream Amerika ist Lichtjahre entfernt, hier bewegt man sich, wenngleich auf einem unsichtbaren “Leitstrahl”, in einer Welt, die gut 700 Jahre älter ist als alles, was die USA sonst zu bieten haben. Diese Erkenntnis macht ein wenig benommen, und so treibt man in der Gruppe weiter, vorbei an igluähnlichen, noch immer zum Brotbacken benutzten Öfen am Mesarand und schachtelähnlichen Häusern, zwischen denen der Blick auf die kahle Felsenlandschaft dahinter fällt. Hin und wieder schlendern Acomas vorbei, in Jeans und T-Shirts mit Stammesmotiven aus dem Souvenirladen im Kasino. Manche grüßen freundlich, andere nicken nur.

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Fred knibbelt ein bißchen altes Stroh aus einer Häuserwand und erklärt daran die Adobebauweise: Die Wände bestehen aus einem Gemisch aus Lehm und Stroh, die Decken sind aus quer verlegten, mit Schlamm und Gestrüpp verputzten Balken. Türen und Fenster stammen aus der spanischen Zeit, davor gab es aus Sicherheitsgründen keine, der Eingang erfolgte über eine Leiter auf dem Dach. Fragen zur sozialen Organisation hingegen beantwortet Fred sichtlich nicht so gern. Ja, das alte Clansystem funktioniert noch, und jeder Clan habe bestimmte Funktionen. Ja, man sei eine matrilineare Gesellschaft, beispielsweise sei es in jeder Familie die jüngste Tochter, die das Haus erbe, da angenommen werde, dass sie am längsten lebe und sich daher um die Alten kümmern werde. Beim Betreten des in der Sonne backenden Dorfplatz wird er wieder einsilbig. Ja, dies sei ein spirituelles Zentrum und ja, bei Ritualen schauten hier die Geister der Ahnen vorbei, aber mehr wisse er auch nicht. Basta. Erst vor der lehmbraunen Kirche, die aussieht wie im Sandkasten geformt, kommt wieder Leben in den Guten. “99 Prozent von uns sind katholisch”, sagt Fred, und der Stolz ist nicht zu überhören, “aber 100 Prozent praktizieren die alten Sitten und Gebräuche.”

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Der drinnen in kräftigen Farben an die sonst leere Wand gemalte doppelte Regenbogen – “No Photos! Pleaaaase!” – symbolisiert das Nebeneinander der beiden Religionen ebenso wie der Umstand, dass der Priester zugleich der Medizinmann ist und die Toten auf dem Friedhof, einem künstlich aufgeschütteten Plateau neben der Kirche, nicht in Särgen zu Grabe getragen, sondern einfach übereinander gebettet werden. Ein Loch in der  Friedhofsmauer repräsentiert das Erdloch namens Mutter Natur, aus dem alle Acomas stammen. Nach ihrem Tod gehen sie dorthin zurück. Fred´s Witz kommt in der Runde an: “Macht doch Sinn, oder? Im Sarg kämen wir da nämlich nicht durch!” Macht Sinn, Fred. Wie auch die vielen Regeln und Ge- und Verbote. Acoma ist ein zartes Pflänzlein in der Wüste. Und muss gehegt und gepflegt werden, damit es nicht zugrunde geht.

Weitere Infos gibt es online unter:

Autor: Ole Helmhausen

Ole Helmhausen ist freiberuflicher Reisejournalist, Autor, Fotograf, Blogger und VJ und bereist seit 20 Jahren im Auftrag deutschsprachiger Zeitungen, Magazine und Verlage die USA und Kanada. Er lebt in Montréal (Kanada). Sie finden ihn auch auf: Facebook, Google+ und Twitter.

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