Boston Teaparty Ships & Museum: Alle Viertelstunde ein Freiheitskampf

Boston gilt als die Wiege der Unabhängigkeit Amerikas. Das neue Boston Tea Party Ships & Museum in der Stadt  erklärt, wie das kam. Und verwandelt seine Besucher nebenbei in glühende Rebellen.
Boston Tea Party Museum - (c) 2013 Ole Helmhausen - 4

Boston Tea Party Ships & Museum

Wir sind Seiler und Ärzte, Fassmacher und Kaufleute. Mit dabei sind auch Tagelöhner und Waschweiber, denn an diesem 16. Dezember 1773 gibt es keine Standesunterschiede. Schulter an Schulter sitzen wir in einem kargen Versammlungsraum und steuern geradewegs auf ein Ereignis zu, das später jedem amerikanischen Schulkind als Fanal unseres Unabhängigkeitskriegs geläufig sein wird. Seit Jahren schon ächzen wir nämlich unter den Knebelsteuern, mit denen uns die Krone für den “French and Indian War” bluten lässt. Wir haben für den verfluchten König Georg III. auf dem Schlachtfeld geblutet, doch statt eines Mitspracherechts im Londoner Parlament halst er uns immer neue Steuern auf! Die Stimmung, von unserem wortgewaltigen Mitbürger Samuel Adams am Rednerpult  angeheizt, ist am Siedepunkt. Mit lautem Zischen quittieren wir die Namen englischer Lords, die wir hinter den Willkürakten hier in Boston wissen, mit Buhs und demonstrativem Langenasedrehen – “Raise the Flag” heißt das in unserem Jahrhundert – zeigen wir Gouverneur Thomas Hutchinson, dass wir ihm nicht mehr folgen.

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Neben uns sitzt der wohlhabende Kaufmann Thomas Porter. Als Heißsporn hat er sich, soweit wir dies als seine langjährigen Nachbarn beurteilen können, bisher nicht hervorgetan. Doch jetzt hält es selbst ihn nicht mehr auf der Bank. “Sie besteuern sogar unsere Zeitungen, Karten- und Würfelspiele”, stößt er mit zornesweißem Gesicht hervor und ballt die Faust. “Hört, hört”, brüllen wir, und dabei fühlen wir einen wohligen Schauer, weil uns die allseits geteilte Entrüstung wie eine Woge davonzutragen scheint. “Schande! Unerhört! Shame, shame!” Samuel Adams, ein Schwergewicht in grobem Wams und Kniebundhosen, faltet die Hände über dem Bauch und blinzelt listig. Der Zeitpunkt, die Neuigkeit des Tages unters Volk zu bringen, ist gekommen. Schwer stützt er sich auf sein Pult, lehnt sich nach vorn und dröhnt: “Jetzt will der nimmersatte dritte Georg auch noch unseren Tee besteuern!” Das wütende Fußgetrampel zwischen den Reihen schwillt zu einem ohrenbetäubenden Donnergrollen an.

Na wartet, Ihr Lords und Ladies!

Samuel “Sam” Adams, in ferner Zukunft eine amerikanische Ikone und als Namensgeber einer Bostoner Brauerei in aller Munde, hebt milde lächelnd die Arme und senkt die Stimme, er ist ein begnadeter Redner. “Im Hafen ankern britische Segelschiffe mit  350 Teekisten”, sagt er lauernd. “What say you? Was sollen wir mit dem Tee machen, Ihr Söhne und Töchter der Freiheit?” Unentschlossenes Gemurmel, doch geschwind hilft uns die Waschfrau Sarah Hughes auf die Sprünge. Mit scharfer Zunge gibt sie in diesem Stück die Einpeitscherin aus dem Volk. “In die See mit dem Tee”, keift sie, “in die See! Hurra!” Das sitzt. Alles springt auf, wir auch, und mit dem rhythmischen “Dump the tea/ In the sea” auf den Lippen schieben wir zur Tür hinaus. Stimmen der Mäßigung wie die unseres zu Gewaltverzicht aufrufenden Mitstreiters Thomas Crafts verhallen ungehört. Mit klopfendem Herzen und die Freiheit im Blick, eilen wir nach Griffin´s Wharf hinunter. Na wartet, Ihr adligen Nichtsnutze! Wir kommen!

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Eines muss man den Amerikanern lassen: Show können sie. Wir langweilen uns nicht eine Sekunde. Mit dem furios inszenierten Freiheit-und-Gleichheit-Sprech, der schon vor 240 Jahren Boston´s kriesgmüde Bürger in feurige Rebellen verwandelte und heute als “motivational speech” so etwas wie eine amerikanische Institution ist, schaffen sie es sogar, uns lahme Europäer zu mobilisieren. Der spartanisch eingerichtete Versammlungsraum, die kochende Volksseele, die Einpeitscher, die begnadeten Redner und das unbestimmte, in jedem Fall aber euphorische Hochgefühl, am Rad der Geschichte mitzudrehen: All das  ist großartig inszeniert, auch wenn es im Viertelstundentakt vonstatten geht! Das müssen selbst wir Europäer eingestehen, die chronisch kritisch dem immer etwas zu populistischem Pathos neigenden amerikanischen Kulturgut gegenüberstehen.

Wieviel Geschichte steckt in der Show?

Wir gehören zu den ersten zwei Dutzend Besuchern, die an diesem Eröffnungstag Ende Juni 2012 durch das neue Boston Tea Party Ships and Museum geschleust werden. Das 28-Millionen-Dollar-Museum ruht auf einem Ponton im Fort Point Channel, nicht weit von der Stelle entfernt, wo einst der Tee versenkt wurde, und wird von der Congress Street Bridge aus betreten. Groß ist es auf den ersten Blick nicht. Vor den kühl schimmernden Bürotürmen der Downtown Bostons wirkt es sogar bescheiden und seinem Auftrag so gar nicht angemessen. Zum Museum gehören auch detailgetreue Nachbauten der “Beaver”, die damals von den aufgebrachten Bürgern geentert wurde, und der noch nicht eingetroffenen “Eleanor”, auch sie ein historisch verbürgter Frachtsegler. Im Anschluss an die einstündige Führung durch das Museum kann man dann außer jeder Menge Tea-Party-Schnickschnack auch Tee kaufen, der ein bisschen so schmeckt wie der vor 240 Jahren. Den originalen Geschmack hätten sie zunächst auch gehabt, versichert der Verkäufer stolz, aber dann hätten sie es doch lieber gelassen. Es wäre kein Seller gewesen. Zu rauchig.

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Show können sie also. Aber können sie auch Geschichte? Jedenfalls stecken die Amerikaner die Energie und den Enthusiasmus, mit denen sie an der Verbesserung der Welt zu arbeiten pflegen, auch in die Erklärung ihrer Vergangenheit. Man kann nur staunen über die Detailversessenheit, mit der sie eine Bronzetafel selbst dort aufstellen, wo ein leidlich bekannter Cowboy X sein treues Pferd aus welchen Gründen auch immer, erschießen musste. Und diese Fähigkeit erst, Geschichte in mitreißende Action-Geschichten zu verwandeln und mithilfe knackiger Slogans wie “War on Terror”, “Selling Democracy”, oder “Boston Tea Party” eben, zu verkaufen! Auch in diesem Fach gilt: Je spannender die Geschichte, desto besser für den Umsatz.

Der Missbrauch der Freiheitsparolen

Für die Rekonstruktion der Ereignisse rund um die Boston Tea Party gut 150 verbürgte Teeversenker ausfindig gemacht und akribisch genau mit Name, Beruf und Werdegang auf der Webseite des Museums verewigt. Samuel Adams, Thomas Porter, Sarah Hughes, Thomas Crafts & Co: Tag für Tag machen sich die gut 30 enagierten Schauspieler/-innen des Museums “ihren” Charakter zu eigen. Dafür haben sie seit Jahresbeginn gebüffelt, sich das alte Englisch und die Manierismen jener Zeit angeeignet. Die letzten drei Monate vor der Eröffnung dann das Proben mit Kostümen, sechs Tage die Woche, sieben, wenn es sein musste. Doch anders als bei den in den USA sonst üblichen “re-enactments”, bei denen  Besucher historisches Blutvergießen und Geballer zwar hautnah erleben, aber letztlich von der Seitenlinie aus konsumieren, sind sie im Boston Tea Party Ships & Museum mittendrin. Dafür sorgen die Kärtchen, die jeder zu Beginn der Führung erhält und die einen als Patriot XY ausweisen. Auf allen steht der komplette Lebenslauf, auf einigen auch glühende Zitate, bittere Klagen gegen britische Willkür die meisten. Diese sind von ihren Besitzern zu deklamieren, wenn sie während der Volksversammlung, der ersten Station der Führung, von Samuel Adams dazu aufgerufen werden.

Wir Europäer reagieren darauf mit einem stummen “Oh Gott, muss das sein?”. Die Amerikaner in unserer Gruppe dagegen können es kaum abwarten, sich in historisches Personal zu verwandeln. “Thomas Porter”, “Thomas Crafts” und all die anderen sind bei der Sache, als seien sie auf einer Castingshow. Liegt das daran, dass Amerikaner von jeher extrovertierte Leute sind? Oder vielleicht doch daran, dass sie auf dieser Führung immer wieder – historisch überlieferte – Sätze hören, die besonders dieser Tage einen Nerv treffen, weil sie von der politischen Bewegung gleichen Namens unters Volk gebracht werden? Es sind solche Sätze: “Wie weit würdet Ihr gehen, um unsere Freiheiten verteidigen?” oder “Gott schützt jeden Versuch, unsere Freiheit zu sichern!” Von einer Nähe zu Sarah Palin und Konsorten will Shawn P. Ford jedoch nichts wissen. Der Vize-Präsident des Museum und Executive Director des Betreibers Historic Tours of America hat diesbezügliche Fragen an diesem Morgen schon zu oft gehört und ist entsprechend genervt. “Wir sind das Boston Tea Party Ships & Museum, nicht das Tea Party Museum. Die Leute kennen den Unterschied!” Wenigstens er ist sich dessen sicher. Muss er auch. Nur eine Zielgruppe anzuvisieren, wäre nicht gut für´s Geschäft.

Holographische Reise in die Vergangenheit

Mit der Waschfrau Sarah Hughes vorneweg geht es nun im Gänsemarsch zur “Beaver” hinüber. Bis jetzt finden unsere schlappentragenden Mit-Patrioten alles “cool” und “awesome”. Die Kinder wollen endlich die Teekisten ins Wasser schmeißen. An der Pier wartet schon ein drahtiger Patriot in Schnallenschuhen auf uns. Mit einer kurzen Brandrede stellt er sicher, dass der aufrührerische Funke in uns noch nicht verglüht ist. Dann endlich dürfen wir uns die Teekisten schnappen. Für die Kinder eine tolle Sache, für die Erwachsenen ein Foto fürs Familienalbum. Anschließend werden die Kisten, gut 150 Kilo leichter als die Originale damals, an Seilen zügig wieder an Bord gezogen, schließlich wollen alle mal. An dieser Stelle verliert der “offizielle” Patriot vom Museum vorübergehend die Kontrolle über das revolutionäre Treiben. Kinder und Väter bespritzen einander mit Wasser, pflichtbewusste Mütter kommandieren die Kostümierten zum Erinnerungsfoto. Und wir Europäer fragen uns langsam, ob die amerikanische eine uns nur scheinbar bekannte Kultur ist.

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Danach geht es mit “Musion Eyeliner” genannter Hightech vorwärts in die Vergangenheit. In historischer Kulisse flimmernd und zum Anfassen nahe, warnt die Holografie einer Bostoner Patriotin die ihrer königstreuen Nachbarin vor dem Zorn des Gerechten, sollte diese es weiter mit den verhassten Tories halten. Die Kinder sind schwer beeindruckt, und wir löchern Sarah Hughes vergebens nach technischen Details. Im nächsten Raum dann eine Art Harry-Potter-Show. Die Porträts König Georgs. III und Samuel Adams´ erwachen plötzlich zum Leben, um sich darüber zu streiten, ob der Mensch besser dran ist, wenn er von einer Obrigkeit geschützt wird oder aber selbstverantwortlich in Freiheit lebt. Zuletzt wird der Film “Let It Begin Here” gezeigt. Er beginnt mit dem “Shot heard around the World”, dem kinoreif nachgestellten ersten Gefecht zwischen amerikanischen Unabhängigkeitskämpfern und Soldaten am 19. April 1775 in Lexington, und endet mit einer Bildfolge idyllischer Farmen in friedvollen Hügellandschaften, den Präsidentenköpfen von Mt. Rushmore und einem  Aufruf zum Urnengang. Vor dieser Montage vaterländischer Motive singt ein mit Muskete bewaffneter Patriot inbrünstig “My Country, ´Tis of Thee”. Wir staunen, wie viele in der Gruppe mitsingen. Immerhin war noch niemand geboren, als diese inoffizielle Nationalhymne Amerikas 1931 von “The Star-Spangled Banner” abgelöst wurde.

Die armen Schlucker zahlen den Blutzoll

Am Ende trifft man sich im Andenkenladen wieder. “Ich wusste nicht, dass so viele Bürger unterschiedlichster Stände an der Boston Tea Party teilnahmen”, sagt Rob aus Concord, New Hampshire. “Was für eine Verschwendung, der gute Tee”, zürnt Maureen aus Pittsburgh, Ohio. Die Tour fand sie aber gut, ebenso wie Henry aus Orlando (Florida), der hofft, dass die königstreue Holografie “zu ihrem eigenen Besten” doch noch die Seiten gewechselt hat, schließlich sei dies doch Amerika. Nur Lana aus Kansas ist enttäuscht, sie hatte gedacht, dies sei ein Piratenmuseum. Gefallen hat es also allen. Uns auch. Auch wenn manchmal vor lauter tollen Details die kritische Distanz fehlte. Denn aller radikalen Rhetorik zum Trotz veränderte sich damals für die Mehrheit der Bevölkerung nur wenig. So waren es anderthalb Jahre nach der Boston Tea Party vor allem die armen Bostoner, die für die Unabhängigkeit in den Krieg zogen. Die Reichen tauchten zur Musterung auf dem Boston Common erst gar nicht auf. Sie schickten lieber gekaufte Stellvertreter. Doch das ist eine andere amerikanische Geschichte.

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Autor: Ole Helmhausen

Ole Helmhausen ist freiberuflicher Reisejournalist, Autor, Fotograf, Blogger und VJ und bereist seit 20 Jahren im Auftrag deutschsprachiger Zeitungen, Magazine und Verlage die USA und Kanada. Er lebt in Montréal (Kanada). Sie finden ihn auch auf: Facebook, Google+ und Twitter.

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